Das von der Thüringer Landesregierung vorgelegte Agrar- und Forstflächenstrukturgesetz (ThürAFSG) ist in weiten Teilen verfassungswidrig, so das Ergebnis eines umfassenden und unabhängigen Rechtsgutachtens, das der Thüringer Bauernverband e.V., der Verband der Familienbetriebe Land und Forst Sachsen und Thüringen e.V. sowie der Genossenschaftsverband – Verband der Regionen e.V. heute im Thüringer Landtag der Öffentlichkeit vorgestellt haben.
Mit dem Gesetz überschreite der Freistaat Thüringen seine Gesetzgebungskompetenz, insbesondere im Hinblick auf die Regelung der Genehmigungspflicht für den Erwerb von Unternehmensanteilen, sogenannten „share deals“, so die Gutachterin Prof. Dr. Anna Leisner-Egensperger, Lehrstuhlinhaberin für Öffentliches Recht und Steuerrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Die mit dem Gesetz eingeführte Genehmigungsbedürftigkeit sei ein erheblicher Eingriff in die Eigentumsfreiheit, der weder erforderlich noch angemessen sei. In dem Gutachten werden zudem mehrere verfassungswidrige Punkte identifiziert, darunter die Definition des Begriffs „Landwirt“, die Anhebung der Genehmigungsgrenze auf 1 Hektar, die Regelung zu genehmigungsfreien Geschäften zugunsten von Gemeinden und Gemeindeverbänden sowie die Verordnungsermächtigungen. Außerdem enthalte das Gesetz zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe, was zu Rechtsunsicherheit führen werde. Dies gelte insbesondere für den Rechtsbegriff „beherrschender Einfluss auf den landwirtschaftlichen Betrieb“, dem im Gesetz eine zentrale Bedeutung zukommt.
Der Präsident des Thüringer Bauernverbandes, Dr. Klaus Wagner, fordert die Landesregierung deshalb auf, das Agrar- und Forststrukturgesetz zu stoppen: „Statt die Thüringer Landwirte zu stärken, schafft das geplante Gesetz neue rechtliche Unsicherheiten für die heimischen Agrarbetriebe. Dadurch erreicht das Gesetz das Gegenteil dessen, was es will. Es schwächt die ökonomische Handlungs- und Widerstandsfähigkeit unserer Betriebe. Ich fordere die Landesregierung deshalb auf, das Gesetz umgehend zu stoppen!“
Dr. Hartwig Kübler, Vorstandsvorsitzender der Familienbetriebe Land und Forst Sachsen und Thüringen e.V., betont die Bedeutung des Eigentums für Familienbetriebe: „Eigentum ist die Grundlage unserer Familienbetriebe. Wenn wir darüber nicht mehr frei verfügen können, verliert es an Wert. Statt Familienbetriebe zu stärken, werden sie so in ihrer Existenz bedroht. Schon heute ist der Grundstücksmarkt stark reguliert. Wer in Thüringen ein Stück Land verkaufen oder kaufen will, muss heute bis zu acht staatliche Stellen beteiligen. Die Bürokratie stranguliert unsere Betriebe. Wir müssen bürokratische Verfahren abbauen, nicht neue einführen.“
Dr. Andreas Eisen, Bereichsleiter Beratung und Betreuung Genossenschaften des Genossenschaftsverbandes – Verband der Regionen e.V., weist darauf hin, dass das Gutachten die Position der Agrargenossenschaften bestätige, dass es grundsätzlich der falsche Ansatz ist, die Agrarstruktur durch weitergehende ordnungsrechtliche Eingriffe gestalten zu wollen. „Die vorhandenen in Thüringen strukturprägenden Landwirtschaftsbetriebe zu stärken, ist die beste Agrarstrukturpolitik. Die auch in anderen Bundesländern bisher vorgelegten Gesetzesentwürfe erweisen sich als kontraproduktiv für eine nachhaltige Agrarstruktur.“ Er hofft, dass das vorgelegte Gutachten auch Auswirkungen auf vergleichbare Gesetzgebungsbestrebungen in anderen Bundesländern haben wird: „Was in Thüringen verfassungswidrig ist, ist es überall in Deutschland.“
Hauptkritikpunkte des Gutachtens
1. Fehlende Gesetzgebungskompetenz des Freistaates Thüringen:
Das Gutachten stellt fest, dass der Freistaat Thüringen nur in begrenztem Umfang die Befugnis zur Regelung der Genehmigungsbedürftigkeit gesellschaftlicher Anteilserwerbe hat. Diese Befugnis erstreckt sich nur auf Fälle, in denen der Erwerber eine Verfügungsbefugnis erlangt, die der eines dinglich Berechtigten entspricht. In anderen Worten, die Regelungen des Gesetzes überschreiten die Zuständigkeit des Freistaates Thüringen in Bezug auf die Übernahme eines beherrschenden Einflusses auf Unternehmen oder die Erweiterung des Anwendungsbereichs des Gesetzes auf gemeinwohlorientierte Formen der Landwirtschaft.
2. Verfassungswidrige Punkte im Gesetz
Das Gutachten identifiziert mehrere verfassungswidrige Punkte im ThürAFSG:
- Die Definition des Begriffs „Landwirt“ unter Bezugnahme auf eine EU-Verordnung zur Bestimmung des Begriffs „landwirtschaftlicher Betrieb“.
- Die Anhebung der Genehmigungsgrenze auf 1 Hektar.
- Die Regelung zu genehmigungsfreien Geschäften zugunsten von Gemeinden, Gemeindeverbänden oder ihren Erschließungsträgern, wenn ein Flächennutzungsplan oder Aufstellungsbeschluss vorliegt.
- Die unklare und nicht transparente Verordnungsermächtigung, einschließlich der fehlenden Klarheit bezüglich der Bedingungen und des möglichen Inhalts von Rechtsverordnungen.
3. Unbestimmte Rechtsbegriffe
Das Gesetz enthält zudem viele vage Rechtsbegriffe, die nicht klar und sicher ausgelegt werden können, was zu Rechtsunsicherheit führt. Dies gilt insbesondere für den zentralen Rechtsbegriff „beherrschender Einfluss auf den landwirtschaftlichen Betrieb“. Dies ist nicht auslegbar und entzieht sich einer Konkretisierung. Der Begriff „agrar- und forststrukturell nachteilige Verteilung der Bodennutzung“ kann demgegenüber zwar interpretiert werden, jedoch nicht unter Verwendung des Agrarstrukturberichts des Freistaats Thüringen, da dieser hierfür rechtlich keine Grundlage sein kann.
4. Genehmigungsbedürftigkeit von „share deals“ und deren Auswirkungen
Die Genehmigungsbedürftigkeit des Erwerbs von Gesellschaftsanteilen, sogenannten „share deals“, wird als erheblicher Eingriff in die Eigentumsfreiheit betrachtet. Das Gutachten stellt fest, dass dieser Eingriff in der vorgeschlagenen Form weder erforderlich noch angemessen ist. Die Ausgestaltung der Genehmigungsbedürftigkeit wird als verfassungs- und unionswidrig erachtet, da sie nicht sachgemäß an das Grunderwerbsteuergesetz anknüpfe und somit gegen das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung verstoße. In der fehlenden Normierung der Kriterien für die Genehmigungsfähigkeit von „share deals“ wird ein Verstoß gegen das Prinzip der Rechtsklarheit gesehen. Die einheitliche Regelung der Genehmigungsbedürftigkeit von „share deals“ für alle Gesellschaftsformen sei unvereinbar mit dem Gleichheitssatz. Schließlich wird festgestellt, dass das Genehmigungsregime für „share deals“ nicht mit der Eigentumsfreiheit und der Familiengestaltungsfreiheit vereinbar ist.
Die Zusammenfassung der Ergebnisse des Gutachtens ist der Medieninformation beigefügt. Das gesamte Gutachten ist unter https://tbv-erfurt.de/files/downloads/themen/Agrarstrukturgesetz/Gutachten_ThuerAFSG.pdf oder über den QR-Code abrufbar.
PDF-Download Medieninformation
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Hintergrund
Die Thüringer Landesregierung hat im ersten Kabinettdurchgang am 14. März dem vorgelegten Entwurf für ein Agrar- und Forststrukturgesetz (ThürAFSG) bereits zugestimmt. Das Ziel des neuen ThürAFSG ist die Steuerung und Kontrolle des landwirtschaftlichen Bodenmarktes sowie die Herstellung von mehr Transparenz. Dazu werden in dem Entwurf bisher bestehende Regelungen zum Landpachtverkehr und zum Grundstücksverkehr aus dem Grundstücksverkehrsgesetz, dem Reichssiedlungsgesetz und dem Landpachtverkehrsgesetz zusammengefasst und weitere hinzugefügt. Der Gesetzentwurf enthält zudem Bestimmungen zur Anzeige- bzw. Genehmigungspflicht von Anteilskäufen, den sogenannten Share Deals.
Das Gutachten wurde von Prof. Dr. Anna Leisner-Egensperger, Lehrstuhlinhaberin für Öffentliches Recht und Steuerrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, erstellt.
Die einladenden Verbände bilden in ihrer Mitgliedschaft die gesamte Breite der Landwirtschaft in Thüringen aus Nebenerwerbslandwirten, Familienbetrieben, Mehrfamilienbetrieben und juristischen Personen ab.
Thüringer Bauernverband e.V.
Der Thüringer Bauernverband (TBV) ist die Interessenvertretung der Landwirtinnen und Landwirte sowie der landwirtschaftlichen Betriebe im Freistaat Thüringen. Wir setzen uns für die Belange und Interessen der Landwirtinnen und Landwirte in Thüringen ein und vertreten diese auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene. Der TBV ist ein Teil des Deutschen Bauernverbandes (DBV), der die Interessen der Landwirtschaft auf Bundesebene vertritt.
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Unser Verein ist einer von 11 Landesverbänden in Deutschland, der die Interessen von Familienbetrieben in der Land- und Forstwirtschaft vertritt
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Der Genossenschaftsverband – Verband der Regionen e.V.
Der Genossenschaftsverband – Verband der Regionen ist der Prüfungs- und Beratungsverband, Interessenvertreter und Bildungsträger für rund 2.600 Mitgliedsgenossenschaften. Als moderner Dienstleister betreuen wir Genossenschaften aus den Bereichen Kreditwirtschaft, Landwirtschaft, Agrarwirtschaft, Handel, Gewerbe und Dienstleistungen mit über acht Millionen Mitgliedern in 14 Bundesländern.
Wir sind Interessenvertreter und Dienstleister der Agrargenossenschaften, die als Mehrfamilien- und kooperative Gruppenbetriebe die Landwirtschaft im Freistaat Thüringen maßgeblich prägen. Sie bieten vielen Mitgliedern und Beschäftigten einen Aus-bildungs- und Arbeitsplatz und bieten gerade jungen Landwirten die Chance der gleichberechtigten Teilhabe als Mitunternehmer in landwirtschaftlichen Betrieben. Agrargenossenschaften sind als mittelständische Unternehmen in ihren Regionen engagiert und als Auftraggeber für örtliche Unternehmen stärken sie regionale Wertschöpfung und Wirtschaftskreisläufe. Agrargenossenschaften stehen für demokratische Beteiligung aller Mitglieder sowie für eine gleichberechtigte Mitunternehmerschaft, die eine breite Streuung des Bodeneigentums gewährleistet.
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